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Abstruse Kleinarbeit

22/02/2011

Sie belässt einen Mann im Amt, der an einen Tag behauptet, die gegen ihn erhobenen Plagiatsvorwürfe seien „abstrus“, sich dann, als die Belege für seine Unredlichkeit nicht mehr so einfach weggewischt werden können, grinsend vor die Kameras stellt und ohne jedes Schuldeingeständnis erklärt, vorübergehend auf den erschlichenen Titel verzichten zu wollen, schließlich jedoch, als die Beweise erdrückend werden, von sich aus den Doktortitel ablegt, und damit jeder weiteren kritischen Nachfrage die Grundlage zu entziehen sucht.

spiegel.de

Tja, über den Guttenberg [1] [2] [3] ist ja jetzt inzwischen alles gesagt worden. Fast alles. So hat sich z.B. noch niemand (öffentlich) gefragt, wieso es 7 Jahre gedauert haben soll, nichts zu tun als Textstellen zu kopieren. Aber angesichts der wirklich wichtigen Punkte [4] ist das wohl auch nicht mehr so gravierend. Davon abgesehen will ich mir hier auch gar nicht zu viel Mühe geben, denn ich bin sowieso als fauler Mensch meistens schon komplett ausgelastet, da können sich Fehler einschleichen. Enttäuschend auch Merkel, die sich damit herausreden möchte, dass sie ja keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt hätte, sondern einen Minister. Oder so ähnlich. Da hat sie sich echt verfangen, denn die Tatsache das jemand so dreist lügt und in totaler kognitiver Dissonanz glänzt, spielt sehr wohl eine Rolle für einen Minister, was nichts damit zu tun hat, als was sie ihn eingestellt haben will oder nicht. Das muss Merkel einfach klar gewesen sein.
Wie immer auch leicht unbefriedigend sind so manche Pressemeldungen. So war von einer Facebook-Aktion die Rede, an der sich sehr viele User beteiligen würden. Grob übersehen wurde jedoch leider, dass es bei Facebook nur einen „Like“ Button gibt, sonst nichts. Des weiteren ist die Funktion des Buttons eher mit einem „subscribe“ zu vergleichen, da man nur nach einem Klick auf jenen über Updates informiert wird. Die Anzahl der Leute, die auf den Button geklickt haben, können also nicht automatisch mit Unterstützern gleichgesetzt werden. Bei allen Lesern dieser Artikel, die mit Facebook nicht vertraut sind, muss also ein entsprechend falscher Eindruck entstehen. Hier offenbaren sich eigentlich nur weitere Designschwächen von Facebook, dem es an einem Dislike Button, sowie einem neutralen „Subscribe“ mangelt.
Was die allgemeine Legitimation der Kritik an Guttenberg angeht, muss man sich nur ins Bewusstsein rufen, wie er noch grinsend von kleinen Fehlern sprach, während GuttenPlag längst 286 Seiten (=72,77%) in der Dissertation identifiziert hatte, die Plagiate enthalten. Es ist, freundlich formuliert, unredlich hier noch von Versehen und dergleichen zu sprechen. Um hier ein Pro-Guttenberg Argument lebensfähig zu bekommen, hätte er von Anfang an zugeben müssen, in welchem Zustand diese Dissertation ist. Statt sich auch nur ein bisschen in diese Richtung zu bewegen [5], blieb es stattdessen weiterhin lächerlich, indem er etwa äußerte, am Wochenende mal seine Dissertation gelesen zu haben und erst dabei deren Zustand bemerkt zu haben. Klar, die 7 Jahre die er daran gearbeitet haben will, haben gewiss nicht dazu ausgereicht, mit der Arbeit vertraut zu sein… Wie viel deutlicher könnte er noch damit herausrücken, dass er die Öffentlichkeit als völlig bescheuert einschätzt? Nach dem Bearbeitungszeitraum hätte er es fast auswendig kennen müssen. Natürlich müssen sich die Augen hier auch auf die Uni Buy-reuth richten. Offene Fragen gäbe es ja mehr als genug zu beantworten. Wie die Prüfer der Dissertation die überwältigende Masse an kopierten Stellen übersehen haben wollen, sollte man diese ruhig mal etwas ausführlicher beantworten lassen. Wobei aber auch hier schon wieder der eigentliche, noch viel dringlichere Knackpunkt ist, dass die Arbeit ja nicht nur abgenickt wurde, sondern zusätzlich summa cum laude erhielt. Wie bei so ziemlich allen Details in diesem Zusammenhang, wurde auch hier nicht vergessen, dem ganzen noch die Krone aufzusetzen.
Insgesamt reiht es sich dann wieder mal in die wunderschöne Serie ein, wieso Politiker das Internet so sehr hassen. Genauso wie einem bei einer Suche nach Seehofer schon von Suggest ein „Geliebte, Kind“ vorgeschlagen wird, so wäre auch hier nie ohne die Beschaffenheit des Netzes der volle Umfang des Dramas ausgelotet worden. Denn auch hier wimmelt es natürlich von scheinbar böswillig Merkbefreiten, die die Ursachen nicht erkennen wollen.

Was nämlich die Argumente der Guttenberg-Anwälte gemein haben, ist eine Abkehr von jedwedem Rationalismus. Es sind die Anti-Aufklärer, die hier am Werke sind. Sie fordern ein, dass für Guttenberg nicht die normalen Regeln des akademischen Betriebs gelten, nicht einmal die der Demokratie, in der es durchaus zulässig ist, die Eignung eines Politikers immer wieder in Frage zu stellen.

stern.de

Damit landet man auch dieses Mal wieder bei der Erkenntnis, die sich so oft offenbart, wenn man einen solchen Sachverhalt auf die Basics herunterbricht: Man stößt auf einen Widerstand der Leute, die durch Fakten nicht zu beeindrucken, geschweige denn umzustimmen sind. Die Verlorenen. :D Obwohl es da gewiss einen ganz harten Kern gibt, erkennt man bei vielen allerdings auch auf den zweiten Blick, dass sie lediglich kaum Nachrichten lesen (so gibt es tatsächlich immer noch Leute die nichts von der GuttenPlag gehört haben, aber natürlich trotzdem eine Meinung zu Guttenberg haben). Oder die Falschen. Das sieht man überdeutlich daran, dass etwa die Leser der BILD [6] [7] dann auch in Umfragen eher wollen, dass Guttenberg nicht zurücktritt, als die Leser auf anderen Seiten. „Es“ wirkt also immer noch bestens.
Sollte die Opposition es nicht schaffen, hier den Rücktritt durchzusetzen, sind die Folgen [8] längst absehbar. Es wäre die Schaffung eines Präzedenzfalles, den sich unsere Politik nicht auch noch leisten darf. Hier will man sich oft noch wundern, wie es dazu gekommen ist, dass Politiker wie Berlusconi es ins Amt schaffen und sich dort halten, während Fälle wie dieser perfekt demonstrieren, wie man genau dafür den Weg frei macht. Es sollte sich nochmal jeder klarmachen, dass es längst nicht mehr das Problem ist, dass die Dissertation unzählige kopierte Stellen enthält, sondern das es vom Verantwortlichen trotzdem sogar als Affront empfunden wird [9], dafür kritisiert zu werden, obwohl es zweifellos verdient ist. Da er schon in der Vergangenheit ähnlich verfahren ist [10], kann man fast von einem typischen Verhalten ausgehen. Mindestens wirft es aber kein sonderlich gutes Licht [11] auf die Integrität der Person.
Das war es eigentlich. Und dabei habe ich bisher nicht einmal über den „laxen Umgang“ mit dem Urheberrecht von unzähligen anderen Autoren gesprochen, dass doch gerade der Union [12] heiliger sei als allen anderen Parteien. Aber jemandem wie dem Minister schickt man eben keine Abmahnungen ins Haus.
Spannend wird es mindestens noch einmal, sobald die Uni zu einem abschließenden Urteil gekommen ist, dann wird sich zeigen, wie viel glimpflicher Guttenberg davonkommt, als Leute in ähnlichen Fällen [13].

[1]

An einem Tag wird etwas behauptet, wenig später gegenteilig gehandelt – und beides mit dem Brustton der allergrößten Überzeugung vertreten. Es ist eine Strategie, die der Disziplin bedarf – und einer gehörigen Portion Chuzpe. Mit gutem Grund trauen sich viele Politiker solche Volten nicht zu, sie schwurbeln deshalb lieber herum, bleiben im Ungewissen, meiden, solange es geht, Festlegungen. Das ist nicht glamourös, aber verschafft Sicherheit.

http://www.sueddeutsche.de/politik/guttenberg-krisenstrategie-der-doppelte-karl-theodor-1.1063484

[2]

Nun steht er auch unter Verdacht, seinen Doktortitel geführt zu haben, bevor er dazu befugt war.

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/332436/332437.php

[3]

Guttenberg kann sich den Titel nicht selbst entziehen

http://www.welt.de/politik/deutschland/article12616992/Guttenberg-kann-sich-den-Titel-nicht-selbst-entziehen.html

[4]

Das führt zur Frage, ob es denn nichts Wichtigeres gibt als Fußnotenschwindel und akademische Unehrlichkeit.

[…]

Ein solches Argument ist sogar geeignet, dem Rechtsstaat in die Kniekehlen zu treten.

faz.net

[5]

Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir.

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-02/guttenberg-erklaerung-wortlaut-

[6]

Der Guttenberg-„Bild“-Komplex

http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/der-guttenberg-bild-komplex/

[7]

Es ist die Liebesgeschichte des Jahres: die „Bild“-Zeitung & Stephanie zu Guttenberg.

Frau zu Guttenberg hält wenig von Starkult

[8]

Nach dieser Logik sind im Kabinett Schwindler und Hochstapler künftig willkommen.

http://www.sueddeutsche.de/politik/guttenberg-affaere-merkel-gibt-sich-auf-1.1063088-2

[9]

Es ist ein Minister zu erleben, der eine rechte Wut im Bauch hat. Den diese Vorwürfe nerven, ja, der sie vielleicht auch in gewisser Weise ungehörig findet.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,746394,00.html

[10]

Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“, Sonntag-Ausgabe) soll Guttenberg etwa auch seinen Lebenslauf auf seiner Website „ein bisschen aufgeblasen“ haben. So seien aus mehrwöchigen Praktika als Student „berufliche Stationen in Frankfurt und New York“ geworden, aus einem mehrwöchigen Praktikum bei der Zeitung „Die Welt“ eine Tätigkeit als „freier Journalist“.

http://orf.at/stories/2043310/

[11]

Das sagt, wohlgemerkt, ein Mann, der schon in der Einleitung seiner Arbeit gezeigt hat, wie man nach Gutsherrenart, so nennt man das wohl, mit wissenschaftlichen Standards umgeht, nämlich lässig. Das ist nach Guttenbergs Worten nun aber alles nur „Blödsinn“ gewesen, zu dem er „stehen“ könne, weil eben nicht „bewusst“ geschehen sei, was geschehen ist. Aha.

http://www.sueddeutsche.de/politik/guttenberg-verzichtet-auf-doktortitel-bewusstlose-wettertanne-1.1063581

[12]

Merkel: Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt

http://www.tagesspiegel.de/kultur/pop/merkel-raubkopien-sind-kein-kavaliersdelikt/v_default,1221490.html

[13]

Die Staatsanwaltschaft Göttingen verfolgte den falschen Doktor wegen Urheberrechtsverletzung. Für sie lag die Bestrafung im öffentlichen Interesse, auch wenn sich durch den geistigen Diebstahl kein privater Kläger geschädigt fühlte. Der Beschuldigte beugte sich einem Strafbefehl von 9000 Euro oder 90 Tagessätzen – ab einem Tag mehr wird die Vorstrafe im Führungszeugnis vermerkt.

http://www.zeit.de/studium/hochschule/2011-02/guttenberg-bayreuth?page=2

One Comment
  1. feliksdzerzhinsky permalink
    23/02/2011 12:48 AM

    dass die Arbeit ja nicht nur abgenickt wurde, sondern zusätzlich summa cum laude erhielt. – Eben: Das hat der arme Mann nicht verdient:
    Uneingeschränkte Solidarität mit Dr. zu Guttenberg!

Kommentare sind geschlossen.